Pragser Wildsee
Birchach 8
Dieser einzigartige Bergsee in den Dolomiten spielt auch in der Südtiroler Sagenwelt eine Rolle. Denn von ihm aus konnten mit dem Boot die unterirdischen Teile des Reiches der Fanes erreicht werden. Das inzwischen verschüttete Tor zur Unterwelt soll am Südende des Sees Richtung Seekofel gelegen haben, weshalb dieser auf ladinisch Sass dla Porta (Torberg) heißt. Die touristische Erschließung des Sees nahm erst 1899 an Fahrt auf. In diesem Jahr wurde die Eröffnung des direkt am Seeufer stehenden Grandhotel Pragser Wildsee gefeiert, welches zunächst nicht unumstritten für die Familie Hellenstainer aus Niederdorf gebaut wurde. Rund um das Hotel spielte sich Ende April, Anfang Mai 1945 ein wichtiges Ereignis des Zweiten Weltkriegs ab. Seit Ende 1944 ließ der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler in Abstimmung mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA), Ernst Kaltenbrunner, die prominentesten politischen Häftlinge des NS-Staats aus den deutschen Konzentrationslagern zunächst in das KZ Dachau und im April 1945 schließlich nach Niederdorf im Südtiroler Pustertal bringen. Die SS-Wachmannschaften hatten Befehl, die Gefangenen nicht lebend in Feindeshand geraten zu lassen. Durch das mutige Handeln des Offiziers der Wehrmacht Wichard von Alvensleben konnten die schließlich im Hotel Pragser Wildsee untergebrachten Gefangenen dort am 4. Mai 1945 von der US-Armee befreit werden. Der Hintergrund: Nach dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 zwischen den Westalliierten und Italien hatte das Deutsche Reich Südtirol und Teile Norditaliens sowie des heutigen Sloweniens (also den ehemals österreich-ungarischen Herrschaftsbereich) als „Operationszonen“ de facto annektiert, um die Alpen, propagandistisch zur sogenannten „Alpenfestung“ hochzustilisieren und von Bayern bis ins Trentino gegen die vorrückenden Alliierten verteidigen zu können. Himmler und Kaltenbrunner versuchten in den letzten Wochen und Monaten des NS-Regimes, durch Erpressung eine günstige Verhandlungsposition gegenüber den Alliierten verschaffen zu können. Die insgesamt 139 in Niederndorf inhaftierten sogenannten Sonderhäftlinge aus siebzehn europäischen Nationen, sowie eine Gruppe von Sippenhäftlingen sollten dafür als Geiseln eingesetzt werden. Unter den prominenten Gefangenen befanden sich unter anderen der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg mit Frau und Tochter, der frühere französische Ministerpräsident Léon Blum mit Ehefrau, der evangelische Pastor Martin Niemöller, sowie Familienangehörige des Hitler-Attentäters Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Geiselpläne scheiterten. Der deutsche Hauptmann Wichard von Alvensleben, hatte von dem Gefangenentransport erfahren und ließ am 30. April 1945 die Gefangenen in Niederdorf im Pustertal von einem Wehrmacht-Stoßtrupp aus der Gewalt der SS befreien. Noch am selben Tag wurden die Häftlinge ins nahegelegene Hotel Pragser Wildsee gebracht, wo sie von der Hotelbesitzerin Emma Heiss-Hellenstainer versorgt wurden. Am 4. Mai 1945 traf die US-Armee im Hotel ein und brachte die befreiten Häftlinge in zwei Konvois am 8. und 10. Mai in Sicherheit. In dem Hotel treffen sich jedes Jahr um den 20. Juli herum Angehörige Stauffenbergs und anderer Widerstandskämpfer. Dort gibt es das Zeitgeschichtsarchiv Pragser Wildsee, welches sich als einziges ganzheitlich der Geiselnahme von 1945 widmet. Um das historisch wertvolle Archivmaterial für die Nachwelt zu sichern, wurde es aus der gesamten Welt zusammengetragen und ist nun im Hotel Pragser Wildsee untergebracht.